Herrn Litfaß ins Knie geschossen

Litfaß ist ein Eigenname, daher schreibt man ihn auch nach der Rechtschreibreform noch mit einem „ß“. Der Mann hat 1855 seine ersten Säulen in Berlin aufgestellt. Sie sollten gegen das wilde Plakatieren in Berlin Einhalt gebieten. Eine Kultur bestimmende Erfindung, gehört sie doch schon so lange zum Bild einer Stadt.

Hamburg braucht dringend Geld um seine Prestige-Objekte zu finanzieren. Derer gibt es derzeit viele. Protzen, klotzen und sich der Nachwelt ins Hirn brennen ist angesagt – das kostet Geld. Deshalb sind die Werbeflächen, an denen annonciert werden kann, eine willkommene Einnahmequelle. Die „Hamburger Außenwerbung“ (HAW) als Teil der „Ströer Deutsche Städtemedien GmbH“ will nun in der Hansestadt den größten Teil der rund 1600 Litfaßsäulen abreißen und dafür ihre geleckten „City-Light-Säulen“ – die heißen noch nicht einmal mehr Litfaßsäulen – an Hamburgs Straßen pflanzen.

Dabei sind diese neuen Säulen nicht mehr für viele Kleinplakatierer gedacht. Die bringen kein Geld. Lediglich zwei bis drei Großplakate haben Platz unter der Glasfront. Eine einwöchige Präsentation kostet 100.000 Euro. Da kann kein Kleinplakatierer mithalten. Zwei Großplakate sind ja auch viel „sauberer“ als diese vielen kleinen Plakate. So einen Anarchistenschrott wollen wir nicht haben.

Außerdem werden diese neuen Säulen meist sehr prominent platziert. An der Ecke Behringstraße/Hohenzollernring ist erst kürzlich eine dieser neuen Säulen aufgestellt worden. Irgendwie steht die sehr dicht an der Straße, also wirklich auf der Ecke. Schon verwirrend – und in diesem Fall auch sichtbehindernd. Egal. Hauptsache die Kohle stimmt.

Weiterer Kritikpunkt: die Lichtverschmutzung. Aber auch damit hat die Stadt kein Problem, wenn die Säulen auch des nachts leuchten. Werbung rund um die Uhr. Wer seinen Hafen blau illuminiert, der steht auch auf Leuchtsäulen in der Nacht. — An dieser Stelle hätte ich gerne Zahlen: Wie viel Strom verbrauchen die Dinger? Wer bezahlt das? Schließlich noch Fragen ohne Zahlen: Kommt Strom wirklich aus der Steckdose und kostet nichts? Muss Hamburg auch im Dunkeln wie ein radioaktives Sperrgebiet leuchten? Freut sich Vattenfall über die zusätzlichen Stromverbraucher?

Schließlich der kulturelle Aspekt. Die neuen Litfaßsäulen City-Light-Säulen kommen in Hamburg derzeit in den Modellen „DFZ“ und „Colonia“ vor. Die Colonia hat noch etwas von der guten, alten Litfaßsäule. Ich habe sie hauptsächlich (nicht ausschließlich) in der repräsentativen Innenstadt gesehen. Die häufiger aufgestellte DFZ ist nur eine langweilige Säule. Kein Dach oben drauf. Da steht sie wie ein in den Boden gerammter Vibrator an Hamburgs Straßen …

Nun bin ich nicht überall in Hamburg rumgelaufen, aber was auffiel: es gibt derzeit die Litfaßsäulen mit einer Art Ringdach oben drauf. Diese sind entweder mit vielen kleinen Plakaten beklebt, oder nur mit zwei (oder mehr) großen Plakaten – diese sind dann meistens von einer Sorte. Dann gibt es noch die Säulen, die ebenfalls eine Art Ringdach oben haben, dort steht dann aber in weißer Schrift auf blauem Grund: „Kultur in Hamburg„. Auf diesen Säulen finden sich auch ganz viele kleine Plakate. In der Regel – die Dachbeschriftung sagt es schon – sind das Konzert-, Theater- und andere Kleinkunstplakate. An der Fabrik habe ich eine Litfaßsäule mit einem alten, vergammelten, mit Moos bewachsenen Betonring als Dach gefunden – bestimmt in den 70ern dort hingestellt. Und an der Ecke Neuer Pferdemarkt/Neuer Kamp fand ich noch ein richtiges Schmuckstück, das einen größeren Umfang als die Standardsäule hat und oben ein kleines Spitzdach. Schick auch der gemauerte Fuß. — Die sollen alle durch langweilige, glatte, teure, leuchtende Säulen ersetzt werden? Nur damit Geld fließt? :nene: Werden tatsächlich auch die „Kultur in Hamburg“-Säulen geopfert?

neumodische City-Light-SäuleLitfaßsäule bei NachtLitfaßsäule mit vielen PlakatenKultur-LitfaßsäuleLitfaßsäule mit Betondachalte Litfaßsäule

Die Bürger sind jedenfalls mal wieder nicht begeistert von dem, was da oben bestimmt wurde. Dies kann man z.B. den Kommentaren im Senatsblatt entnehmen. Aber wen interessiert schon die Bürgermeinung?

Herr Litfaß stellte die nach ihm benannten Säulen auf, da ihn das wilde Plakatieren in seiner Stadt störte. Wenn jetzt die neuen City-Light-Säulen kommen, könnte damit – nur so nebenbei angedacht – auch das wilde Plakatieren in Hamburg wieder zunehmen. Ein Schuss ins Knie.

[Litfaßsäulen-Set]

Kommentar (1)

  1. funkygog schrieb:

    Wieder ein Stück Kultur das verschwindet.
    Der nächste Schritt könnte folgender sein:
    http://wordpressblog.funkygog.de/wp-content/uploads/2008/11/ampel-werbung.jpg

    Sonntag, 23. November 2008 um 18:02 #