Radiogeschichte

Im Prinzip stimmt die Aussage, dass Vielfalt gut ist. Manchmal wird aber auch durch Vielfalt einiges geopfert. Wann war das noch einmal, als die Privaten in Deutschlands Medienwelt Einzug hielten? Irgendwann Ende der 80er, oder? Der Sender NDR2 war der Haus- und Hofsender bei meinen Eltern. Und er bot wichtige Sendungen. Damals.

Zum einen hatten wir natürlich den „Club“. Immer am Sonnabend von 18 bis 20h liefen die Charts. Ganz wichtige Sendung im Leben eines Heranwachsenden, der sich in seiner musikalischen Erziehung befand. Radio an, Leerkassette rein, Aufnahme und Pausentaste gedrückt. Immer mit dem Ohr am Radio. Ist der Hit von letzter Woche gestiegen oder gefallen? Gibt es Neuzugänge in den Charts? Vielleicht bekomme ich diesmal das Lied sauber mitgeschnitten? Zwei Stunden Adrenalin pur! Die nervenaufreibensten Momente waren zwischen zwei guten Liedern, wenn es darum ging, den blöden Moderator sauber rauszuschneiden. Stopp-Taste, zurückspulen, abspielen … — uhh, zu weit. Noch einmal zurück. Hoffentlich passt das Lied noch auf die Kassette. Heikles Spiel.

So was gibt es heute gar nicht mehr. Wenn die Kinder heute ein Lied gut finden, wird es einfach aus dem Internet gesogen, dann auf eine CD gebrannt. Vielleicht. Meistens wird die MP3-Datei einfach auf den Player kopiert und bei Bedarf gelöscht. Und Platz ist beinahe unbegrenzt vorhanden. Damals kam es schon mal vor, dass so viele gute Lieder liefen, dass man schnell mehr Speicherplatz brauchte. Welche Kassette konnte geopfert werden? Musste eventuell sogar eine alte Hörspielkassette dran glauben?

Eine weitere, wichtige Sendung lief am Sonntag. Wenn ich mich nicht total irre, war das von 10 bis 11 Uhr. Oder eine Stunde später – kann auch sein. Es war nach dem Frühstück, das natürlich vom Radio begleitet wurde. Die Sendung hieß „Von Hamburg nach Haiti“ und eröffnete ganz neue Horizonte – im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Stunde lang wurde aus fernen, exotischen Ländern berichtet. Klingt dröge, war es aber nicht. Zum einen gab es sonst kaum Reiseberichte, zum anderen war die Sendung stimmig unterlegt. Da hörte man Möwengekreische, Wellenrauschen, Schiffsgetute, das Gewusel auf einem fernen Markt, fremde Gesänge. Heutzutage kann ich mir kein Hörbuch anhören, ohne einzuschlafen, aber damals waren diese Reiseberichte der Wahnsinn! Man konnte förmlich die unbekannten Gerüche wahrnehmen, die Hitze in irgendwelchen tropischen Ländern fühlen.

Radio war damals noch ein Erlebnis und ein wichtiger Faktor im Leben; auch im familiären: „Von Hamburg nach Haiti“ haben wir uns immer mit der gesamten Familie angehört. Gibt es solche Sendungen noch? Kann Radio heutzutage Generationen vor dem Apparat fesseln? Also wenn ich das Radio anmache, läuft zu 99% nur Müll. Irrsinnig lustige Moderatoren, die nicht wirklich lustig sind. Die Musik wird nicht von Qualität bestimmt, sondern noch mehr (ich streite nicht ab, dass es schon immer so war) von irgendwelchen Deals. Wenn man ein schlechtes Lied nur oft genug über den Tag verteilt spielt, denkt der unmündige Konsument doch, dass das gut sein muss. Wenn es schon so oft gespielt wird!?

Das Radio ist tot. Das Fernsehen sendet auch nur Minderwertiges und billig produzierte Sendungen. Was bleibt …?

[Nachtrag: Die Sendung hieß „Von Hamburg nach Haiti“, es ging nicht, wie oben vorher beschrieben und nun geändert, nach Tahiti. Hier kann man sich übrigens die Titelmelodie anhören. Wobei ich mich ehrlich gesagt, an das Stück nicht erinnern kann … 😮 Danke für den Hinweis an E.]

Kommentare (4)

  1. Thomas schrieb:

    Hallo Nils,
    hier „könnten“ Webradios diese Lücke schleißen. Ja, wenn sie denn mal alle an einem Strang ziehen würden. Nur solange viele Webradiomoderatoren glauben, das sie der „bessere Radiochef“ sind und ihr eigenes Radio aufmachen, wird das nichts. Da wird jedes andere Radio gleich als „böser Feind“ ausgemacht.
    Erinnert einen doch glatt an die frühere Kleinstaaterei in Deutschland. Erst durch die Erkenntnis „gemeinsam erreicht man mehr“, wird sich auch bei den Webradios etwas verbessern. Viele sind heute nicht mal eine gute Alternative zum Duddelfunk. Ich will mal nicht sagen das ich eine Vision habe das es sowas auch mal geben wird, da der Altkanzler Schmid sagt,“wenn man Visionen hatt solle man zum Arzt gehen“, sondern ich glaube das es sowas in Zukunft geben wird.

    Mittwoch, 24. Dezember 2008 um 19:32 #
  2. funkygog schrieb:

    Mir hat damals auch die Plattenkiste ganz gut gefallen, in der Büros ihre Wunschmusik zusammengestellt haben.
    Momentan finde ich den Sender Tide 96 ganz interessant. Da hier wieder Programmradio gemacht wird.
    Dürfte der einzige Sender sein, der kein Jingle hat mit „das Beste aus 60ern, 70ern, 80ern, 90ern und von heute“

    Donnerstag, 25. Dezember 2008 um 19:09 #
  3. Livestream ist immer auch eine Option. Ich mag Radio Eins immer noch. Motor FM und Byte FM bieten auch unkonventionelle Musik.

    Gerade, wenn man etwas andere Musik mag, ist das Internet großartig.

    Donnerstag, 25. Dezember 2008 um 20:58 #
  4. Nils schrieb:

    Okay, wie es scheint, ist das Web eine gute Quelle für „anderes Radio“. Einen kleinen Haken hat es allerdings schon: Ich lasse nicht meinen Rechner laufen, um mich dann von einem Web-Radio wecken zu lassen. Auch habe ich keinen Rechner im Badezimmer, um mir beim Zähneputzen die Zeit zu vertreiben. Schon irgendwie blöde… 🙁

    Freitag, 26. Dezember 2008 um 22:51 #

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