Silvester habe ich ganz nett in Gesellschaft verbracht. Beim gemütlichen „Hallo neues Jahr“-Geplaudere kam die Sprache auf Schnee. Nachdem ich verständnislos dreinschaute, da ich nicht wusste, wovon die Rede war, wurde es mir noch einmal erklärt. „Das ist so ein weißes Zeugs.“ „Eine Decke?“, fragte ich und zeigte auf den Tisch? Nein, das ist das weiße Zeugs, das am 28.12.06 auch in Hamburg vom Himmel fiel – aber am Abend schon wieder weg war. Ach so: Schnee.
Vom Schnee kamen wir auf das Schlittenfahren. Hat man in seiner Jugend auch mal gemacht. Nun wusste ich noch eine Geschichte von meinem alten Herrn zu berichten, was er in seiner Jugend in Blankenese gemacht hat. Mir fiel allerdings an dem Abend nicht mehr der Name des Gefährts ein, mit dem damals todesmutige Fahrten unternommen wurden. Also fragte ich am Neujahrstag meinen Vater, wie denn das „damals“ so war.
Damals in Blankenese
Mein Vater ist in Blankenese aufgewachsen. Nein, wir sind kein Hamburger Adel. Das war das Resultat eines Programms, bei dem Vater Staat seine Schäfchen in Häusern untergebracht hatte. Es war nach dem Krieg und Wohnungen waren knapp.
Als kleiner Hosenmatz konnte mein Vater die todesmutigen Jungs aus Blankenese bewundern, wenn sie mit ihren Kreeks (oder Creeks – genau weiß ich nicht, wie man die schreibt) den Schinckels Park runterdonnerten.
Für alle Nicht-Hamburger und alle Nicht-in-Hamburg-so-gut-Bewanderten erkläre ich zunächst einmal das Wo. Der Schinckels Park liegt im westlich gelegenen Stadtteil Blankenese, nördlich vom Waseberg. Der Waseberg könnte so manchem Leser bekannt sein, wenn er die HEW-Cyclassics im Fernsehen verfolgt hat. Das Monster hat knapp 70 Höhenmeter über einer Länge von etw. 700 Metern, wobei die ersten 400 gut 5% Steigung, die letzten 300 gnadenlose, eklige, schweißtreibende, unerbittliche 16% Steigung haben. Grausamer Berg! Wer sich ein Bild davon machen möchte, wo der Schinckels Park liegt, der klickt hier und sucht nach „Waseberg“ (dort wird übrigens der Herr Schinkel mit CK geschrieben, deswegen behalte ich das hier einmal bei).
Ganz oben am Schinckels Park wohnte damals die Familie Kühne (die mit dem Essig). Unterhalb deren Grundstück ging die wohl knapp 1km lange Rodelstrecke los. Ziel war unten bei der Familie Harmstorf. Die Harmstorfs waren, so mein Vater, ganz schöne Raufbolde; aber auch wohlhabend. Erst als Taucher angefangen, hatte der alte Harmstorf dann eine kleine Reederei. Hier wurden (auf Bestellung) auch die sog. Kreeks gebaut, mit denen durch den Schinckels Park gebrettert wurde.
Damit kommen wir zu dem Was, oder dem Womit. Kreeks sind eine nette Hamburger Spezialität, die es heute wohl kaum noch gibt. Es handelt sich dabei um sehr flache, sehr robuste Schlitten. Die Kreeks sind meistens aus Eichenholz, später auch aus Teakholz, gefertigt. Die eisenbeschlagenen Kufen bestehen aus recht breiten Bohlen von etw. fünf Zentimeter Breite. Sehr hoch sind sie nicht. vorn. sind die Kufen hochgezogen und mit einem kleinen Tampen verbunden, in dem der Fahrer seine Füße steckt. Standardmäßig sind die Kreeks für drei Fahrer ausgestattet — so bekommt man mehr Gewicht und dadurch Geschwindigkeit — und etwas über einen Meter lang. In den Kufen sind Löcher zum Festhalten. Der hinterste Fahrer ist der Steuermann. Mit einem jungen Baum (ohne Äste, lang, nach hinten etwas dicker werdend und möglichst auch aus Eiche) wird gesteuert.
So preschten die Jungs damals also den schneebedeckten Berg im Schinckels Park hinab. Am Fuß, so erinnerte sich mein Vater, gab es eine kleine Erhebung, die zur Seite gen Polterberg abfiel. Man stelle sich vor, man rast mit irrem Tempo den Berg hinab und kommt auf diese Schräge. Hier scherten die Meisten aus und krachten auch von Zeit zu Zeit gegen Bäume. Ein Umstand, dem Respekt gezollt wurde, indem später am Fuß des Bergs auch ein Krankenwagen stand.
Durch die niedrige und oben geschlossene Bauweise machten die Kreeks wohl einen Höllenlärm, wenn sie den Berg runterkamen. Trotzdem wurden unachtsame Spaziergänger oder ’normale Rodler‘ mit einem lautstarken „Ray“-Ruf (auch hier weiß ich nicht die Schreibweise) gewarnt.
Schließlich erinnerte sich mein Vater noch daran, dass die ganz Harten sogar den Waseberg, der auch als einer der steilsten Berge im Norden angesehen wird, runtergefahren sind. Interessant hier: Am Ende des Wasebergs hat der Weg eine scharfe Linkskurve. Wenn man nicht steuern konnte, fuhr man hier gegen eine Mauer! Die Straße Waseberg war übrigens zu dem Zeitpunkt noch nicht asphaltiert. Wer braucht da noch Killerspiele? Das Leben bietet (in diesem Fall eher „bot“) noch den größten Nervenkitzel!
Ja, so waren sie damals, die Jugendlichen in den 50ern in Hamburg. Ganz schön hart im Nehmen, wie ich finde.