Wer gegen den Digitalen Wahlstift wettert, der muss auch mit den Konsequenzen leben und beim Auszählen helfen. Leider habe ich etwas geschlampt, weswegen die rund 15.000 Wahlhelfer-Posten auch schnell vergeben waren. Na, da habe ich aber dumm aus der Wäsche geschaut. Zum Glück kannte ich eine Wahlleiterin, bei der jemand ausfiel, so bin ich dann doch noch dazu gekommen, meiner Stadt zu helfen.
Es ist nett sowas einmal mitgemacht zu haben. Zehn Leute in einem Raum. Wir hatten unser Lager in dem alten Finanzamt in der Großen Bergstraße aufgeschlagen. Das Teil ist in einem so hässlichen 50er-Jahre-Schick gehalten, dass mir jeder Finanzbeamte Leid tut. Rotbraunes Linoleum in den Gängen, graubeige Wände und abgenutztes Fischgräten-Parkett in den einzelnen Stuben. Die Toiletten mit einem „Diese Tür bitte nicht schließen“-Zettel an besagter Tür versehen, der Fahrstuhl war nach dem Sonntag kaputt und wir mussten über dunkelgraue Steinstufen in den dritten Stock laufen. Wie hoch ist eigentlich die Selbstmordrate bei Finanzbeamten?
Am Sonntag zuerst nur die Landeslisten (gelb) und die Bezirkslisten (grün) ausgezählt. Eine gut eingespielte Truppe war entsprechend flott fertig. Als wir Abends aus dem Amt kamen, stand unten schon die Polizei bereit. Die Zimmer wurden versiegelt, die Polizei patrouillierte vermutlich nachts im Haus und um das Gebäude herum wurde Streife gefahren. Immerhin lagen dort in mehreren Wahlurnen in diversen Zimmern die Stimmzettel. Die wollten beschützt sein.
An den folgenden Tagen wurden dann die Wahlkreislisten für die Bürgerschaft (rot) und die Wahlkreislisten für die Bezirksversammlung (blau) ausgezählt. Zu Problemen oder Unstimmigkeiten kam es nicht großartig. Ich habe eine Menge gelernt. Ich habe mich nämlich immer gefragt, wie denn bitte ungültige Stimmen zustande kommen können? Wie blöde muss man sein, um einen Stimmzettel ungültig zu machen? Oder wird das alles absichtlich gemacht? Und wie schaut das dann aus? Jetzt weiß ich es.
- Manche Wähler (wir haben nur Briefwahl ausgezählt) meinten es nett mit uns und haben aus den Abstimmheften alle Zettel rausgerissen, auf denen sie keine Stimme gemacht haben. So wurde zwar der Briefumschlag leichter – da die Wahlzettel allerdings zerstört wurden, waren damit die entsprechenden Stimmen futsch.
- Eine Person war so nett, uns mit Sinnsprüchen zu unterhalten. Als der Umschlag mit den vier Stimmzetteln geöffnet wurde, fand sich auf dreien jeweils ein Zitat. Philosophen und Lyriker kamen zu Wort. Mit Quellangabe. Auf dem letzten Zettel stand dann noch ein kleines Statement. Da wurde auf den CDU-Senat geschimpft und über das neue Wahlrecht gewettert, es wurde ausgeführt, dass diese Wahl ein Hohn sei (ich umschreibe es mal nett) und aus diesem Grund sich der Bürger auch nicht im Stande sah, Stimmen abzugeben. — Uuuund ungültig…
- Bei der Wahlkreisliste zur Bezirksversammlung hatte ich dann einen Zettel mit zehn anstatt fünf Stimmen. Raus.
- Gerade bei den blauen Wahlkreislisten haben wir feststellen müssen, dass einige (nicht viele) wohl der Meinung waren, einmal fünf Kreuze machen würde reichen. Die blauen Zettel blieben entsprechend ohne Kreuz. Und waren damit ungültig.
- Einen Fall hatten wir am Wahlabend, als in einem blauen Umschlag zwei gelbe Landeslisten waren. Da wurde der Wähler falsch beliefert. Entsprechend fehlte eine andere Liste (keine Ahnung mehr, welche).
In die Rubrik „seltsam“ oder „auffällig“ fallen folgende Zettel:
- Es gab einige Wähler, die dort, wo sie fünf Stimmen hätten abgeben können (und das stand vorn. dick drauf!), nur eine Stimme bei der Gesamtliste ihrer Lieblingspartei abgegeben haben. Das nenne ich verschenkte Stimmen! Dussel…
- Nett war auch am Wahlabend, als wir die großen rosa Umschläge geöffnet haben. In diesen Umschlägen befanden sich jeweils der Wahlschein und ein blauer Umschlag mit den Wahlzetteln (die eigentlich Wahlhefte waren) drin. Auf dem Wahlschein musste der Wähler unterschreiben. Da gab es einige Herrschaften, die jede freie Stelle zum Unterschreiben benutzt haben. Auch die, auf der eigentlich die betreuende Person (z.B. für alte Menschen im Pflegeheim) unterzeichnen sollte. Es gab also einige Wähler, die etwas verwirrt waren (abgesehen von seltsamem Abstimmverhalten).
- Eine Wahlhelferin berichtete übrigens, dass ihre Unterlagen zur Briefwahl viel zu spät ankamen. Ich glaube erst am 19. Februar oder so. Wenn sie im Urlaub gewesen wäre und deswegen um Briefwahlunterlagen gebeten hätte – tja, dann hätte sie diese u.U. gar nicht erhalten. Schlecht organisiert…
Weitere Besonderheiten am Rande: Wir hatten tatsächlich einen Bayern-Fan unter uns, der via SMS von den Ergebnissen erfuhr und entsprechend beim 1:1 und beim vermeintlichen 2:1 laut losjubelte. Kinder…
Dann noch einmal der Hinweis, dass die Digitalen Wahlstifte 2,4 Mio Euro gekostet haben und jetzt in irgendeinem Keller verrotten. Die Wahlhelfer (knapp 15.000) kosten nun insgesamt fast 6 Mio Euro. Ist mehr. Und man hätte sich so schön die 2,4 Mio sparen können… Das Geld kommt erst Ende März, vorüber sich unter den Wahlhelfern lautstark aufgeregt wurde. „Wie schwer kann es sein, eine Überweisung rauszuhauen?“ war die oft gestellte Frage.
Das neue Wahlrecht
Das neue Wahlrecht war für einige Wähler wohl doch etwas schwer gewesen (s. leere blaue Stimmzettel). Ansonsten kam es aber erstaunlich gut an. Ich hatte im Vorfeld gedacht, es gäbe viel mehr Fehler, doch die blieben weitgehend aus.
Die CDU, so wird vermutet, bringt die angebliche Kompliziertheit des neuen Wahlrechts als Argument an, dass man deswegen auch wieder zum Ein-Stimmen-Wahlrecht zurückkehren könne. Dazu der Harburger CDU-Vorsitzende Ralf-Dieter Fischer:
Ich denke, das Wahlrecht ist gemessen an dem Ertrag, der am Ende dabei herauskommt, zu aufwändig. Vermutlich werden wir nicht erleben, dass ein Kandidat durch besonders viele Stimmen nach vorn rückt.
Oh, da muss ich Ihnen leider widersprechen Herr Fischer. Gerade bei den Wahlkreislisten, bei denen man bekanntlich seine fünf Stimmen auf die Gesamtliste oder einzelne Bewerber hat verteilen können – alles auf einen oder wild verteilt – gerade bei diesen Listen fiel doch auf (zumindest bei uns), dass durch das Verteilen diverse Bewerber aus unteren Listenplätzen auf einmal weit aus mehr Stimmen hatten, als „die da oben“. Dieses System, die Stimmen abweichend von den Wünschen der Parteien abzugeben, kam bei den Briefwählern unseres Wahlkreises sehr gut an. Somit wäre es tatsächlich nur Panikmache von Seiten der CDU. (Wir wissen ja, wie äußerst ungerne sich die CDU vom Bürger reinreden oder auf die Finger schauen lässt…)
Kleines Zahlenspiel
Nett finde ich das Zahlenspiel am Ende des Beitrags von Mehr Demokratie e.V.:
Beim Volksentscheid vom Oktober stimmten 365.133 Hamburgerinnen und Hamburger für verbindliche Volksentscheide. Bei der jetzigen Bürgerschaftswahl stimmten 331.184 Hamburgerinnen und Hamburger für die CDU und Ole v. Beust. Der Volksentscheid scheiterte, Ole v. Beust aber bleibt Bürgermeister.
Schon seltsam nicht wahr? :nene:
Ein weiteres Zahlenspiel, das leider nie geklärt werden wird: Ich stelle mir die Frage, was die Wahlhelfer so gewählt haben? Ich hätte gerne eine Auflistung, aus welchen politischen Lagern der typische Wahlhelfer kommt. Ich habe zwar nicht gefragt, aber ich habe so ein Gefühl, dass in meiner Wahlgruppe eher rot gewählt wurde.
Kommentar (1)
Interessanter Artikel. Man lernt eben nie aus.
Ich bin mal gespannt, wer mit wem zusammenkommt, schwarz-grün vielleicht?
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Wähler wählen, Wahlhelfer zählen, Kandidaten schwitzen…
Das neue Wahlrecht ist für einen Kandidaten doch recht aufregend geworden. Wir wussten bereits seit der Absage an den digitalen Wahlstift, das wir mit einem Ergebnis bis Mittwoch würden warten müssen. Das es so aufregend werden würde, haben wir abe…
[…] faszinierender Gedanke den ich bei Magerfettstufe gelesen habe. Beim Volksentscheid vom Oktober stimmten 365.133 Hamburgerinnen und Hamburger […]
Zahlenspiel zur Wahl in Hamburg…
Nils zitiert in „Impressionen eines Wahlhelfers“ den Verein Mehr Demokratie e.V.:Beim Volksentscheid vom Oktober stimmten 365.133 Hamburgerinnen und Hamburger für verbindliche Volksentscheide. Bei der jetzigen Bürgerschaftswahl stimmten 331.184 Ham…
Impressionen eines Wahlhelfers < Magerfettstufe…
Denkanstoss.
Beim Volksentscheid vom Oktober stimmten 365.133 Hamburgerinnen und Hamburger für verbindliche Volksentscheide. Bei der jetzigen Bürgerschaftswahl stimmten 331.184 Hamburgerinnen und Hamburger für die CDU und Ole v. Beust. Der Volksent…