Na danke auch. Am Freitag hatte ich Geburtstag. Jetzt habe ich ein Alter erreicht, wo man nicht mehr in der Nacht vor dem Jubeltag unruhig schläft, weil man voller Vorfreude ist, sondern weil einen die Blase dreimal in der Nacht auf die Toilette treibt. Und dann schmerzt beim Aufstehen noch die Kniescheibe. Nein, die Vorfreude war gering. Das habe ich auch gleich allen Bekannten und Verwandten im Vorfeld kundgetan. Ich wollte am liebsten nichts vom Geburtstag wissen.
Die Freunde und Bekannten jaulten zwar alle kurz auf, der eine oder andere blieb auch noch etwas hartnäckiger. Wie, keinen Käse-Igel und kein Mousse au Chocolat dieses Jahr? Kein Freibier und abgenagte Hühnchenknochen vom Balkon werfen? Wie öde. Nein, ich wollte nicht.
Weitaus bissfester erwies sich meine Mutter. „Junge, das kannst du doch nicht machen“, hieß es da. „So alt bist du doch noch gar nicht.“ Nein Mutter, ich möchte dieses Jahr und alle danach nicht mehr an meine fortschreitende Alterung erinnert werden. Nun haben Mütter allgemein eine andere Sicht, als die Party-wütigen Freunde. Mütter sind irgendwie an der Geburt beteiligt. Mehr als andere. Deshalb ließ sie auch nicht locker — wie sich später herausstellte. Doch zunächst war mildes Lächeln und Kopftätscheln angesagt. Gut, wenn der Junge nicht will…
Dann kam der Freitag. Mist. Wieder ein Jahr älter. Hoffentlich geht der Tag schnell vorbei. Er ging — jedoch nicht ohne dass die Eltern noch einmal vorbeigeschneit kamen und „den Kleinen“ drücken wollten. Okay. Zum Abschied gab es noch ein Geschenk aus der Hand meiner Mutter. Einen Briefumschlag und ein Augenzwinkern. Ich witterte Verrat.
Als ich das Kuvert öffnete, war eine nette Karte mit einem Pinguin drin, einer Geburtstags-Floskel und dem Hinweis, dass ich mich auf eine Überraschung am Sonntag gefasst machen müsse. Außerdem solle ich am Sonnabend früh ins Bett gehen, da die Überraschung morgens um 6 Uhr beginnen würde. — „Na, wenigstens keine Überraschungs-Party“, dachte ich mir. Von meinen Pappenheimern kommt doch keiner am Sonntag vor 11 Uhr aus den Federn.
Um 5.30 Uhr klingelte auf dem Sonntag nach meinem Geburtstag das Telefon. Meine Mutter wollte mich daran erinnern, dass ich in einer halben Stunde gesattelt und gespornt unten vor der Tür stehen müsse. Und ich hatte das für einen Scherz gehalten. Na, nun war ich ja schon wach. Also schnell fertig gemacht, noch eine Banane reingestopft mit kaltem Tee vom Vortag runtergespült und um 6.01 Uhr stand ich unten vor der Tür. Zum Glück schien die Sonne. Oder zumindest wollte sie es demnächst mal machen. Irgendwann, wenn sie über den Horizont gekrochen wäre.
Da standen meine Eltern breit grinsend und doch nervös auf die Uhr tippend. „Was?“, fragte ich. „Es ist schon spät, wir müssen uns beeilen“, war die Antwort. Also stieg ich trotz meines hohen Alters in den Wagen und wir fuhren los. Mein alter Herr flog wie immer im Tiefflug durch Hamburg, bis wir am ZOB hielten. Was würde das werden?
Los geht’s
Das musste ein Scherz oder ein böser Traum sein. Da stand eine gut 20-köpfige Truppe Rentner in strahlenstem Beige gekleidet und wartete schon auf mich. Mit einem Schupser wurde ich in mein Sonntags-Glück geschubst, schon saß ich neben Peter im Bus. Peter ist 78 Jahre alt und war neben mir das Küken in dieser Reisegesellschaft. Wir fuhren nach Aasbüttel — was ich zunächst wieder für einen Scherz hielt. Nein, ich war mit einer Rentnertruppe nach Aasbüttel unterwegs. Ziel war der Gasthof „Zur Esche“, wo uns Reiseleiter Hermann, ein Mittvierziger mit Sonnenbank-Bräune, weißen Zähnen und gestreiftem Hemd, „einiges zeigen“ wollte. Ich befand mich auf einer Art Butterfahrt! Danke, Mutter…
Zuerst ging es quer durch Hamburg und dann in Bahrenfeld auf die Autobahn. Von der A7 ging es auf die A23 bis zur Ausfahrt Schenefeld, durch Schenefeld hindurch und dann über die Landstraße gen Aasbüttel. Die Autobahnfahrt war nicht wirklich spannend, aber auch die Landstraße konnte ich nicht in Ruhe genießen. Wie sich schnell herausstellte, kannten sich die Herrschaften alle. Auf unzähligen Kegelabenden und Kneipengängen hat sich die Rentnergruppe ein schier unerschöpfliches Repertoire an Volksliedern angeeignet. Die wurden die gesamte Fahrt über geschmettert. Ich vermute, dass in den herumgehenden Thermoskannen nicht nur Kaffee enthalten war…
Nach gut 45 Minuten eher langsamen Fahrens kamen wir in Aasbüttel an. Der Himmel zog sich langsam zu, was der Stimmung keinen Abbruch tat. Mann waren die alle fröhlich drauf. Und voller Vorfreude. Hermann das Zahnmodel führte uns in den Gasthof „Zur Esche“, wo uns der hagere Gastwirt schon erwartete. „Ein Schnäpschen zum Wecken der Geister nach der langen Busfahrt“, sagte der Wirt und meine Alten griffen zu. Wobei die echt keine Geistwecker brauchten!
Der Gasthof war mit Holztafeln verkleidet und roch so richtig muffig. Wir wurden durch den Schankraum geführt, wo einige Leute Karten droschen und zwei Gestalten schweigend an der Theke hockten. Der Wirt stieß eine Doppeltür auf und wir befanden uns in einem Raum mit einem Tisch-U, wo wir gleich Sauerfleisch mit Bratkartoffeln und Gewürzgurken vorgesetzt bekamen. Ich hockte mich neben meinen Bus-Kompagnon Peter und so aßen wir das teilweise knorpelige Sauerfleisch. Dabei erzählte der gelernte Eisenbahner von „seiner Zeit“, was ich mir sogar interessiert anhörte. Auch wenn mich Eisenbahnen eigentlich kein Stück interessieren. Als ich erzählte, was ich so mache, damit Brötchen auf dem Tisch stehen, schüttelte Peter nur den Kopf. Vom Internet verstand er nichts. Da hockte sich Ferdinand an unseren Tisch. Der ehemalige Fleischer erzählte, dass er auf seine alten Tage nun auch noch einmal etwas Neues lernen wolle. Sein Enkel habe ihm das erklärt „mit dem Internet und den Viren und so“.
Eine gute Stunde nach Ankunft gab es Kaffee und Kuchen. Hermann holte ein Mikro heraus und machte zunächst einige Späßchen. Kleine Anzüglichkeiten in Richtung der älteren Damen und das Eis wäre gebrochen — wenn die Stimmung nicht eh schon so ausgelassen gewesen wäre. Die Damen prusteten jedenfalls lauthals los. Hermann holte nun Küchenutensilien, filzene Hausschuhe mit Gummi-Stopp-Noppen, Leselupen mit Licht, Schals und Bettdecken heraus. Er redete wie ein junger Dieter-Thomas Heck, was mich zunächst ein wenig verwirrte, so schnell war das. Doch meine Rentner kannten das Tempo wohl schon und folgtem ihm lachend, schenkelklopfend und natürlich auch kaufend. Das ging eine gute Stunde so. Verrückt, was die alten Herrschaften alles kauften.
Nach der Verkaufsaktion ging Hermann dazu über die letzten noch nicht an den Mann oder die Frau gebrachten Stücke zu verlosen. Erstaunlich, wie der das machte. Aus dem Stehgreif, so schien es — ich denke einmal, das macht der Mann auch jedes Wochenende so, machte er ein kleines Quiz zu Themen, zu denen ich nichts sagen konnte, weil das alles „vor meiner Zeit“ war. Dann schwenkte der gute Grinsemann um und machte für die wirklich letzten Dinge eine Art Musik-Quiz. Er summte ein Lied an und alle stimmten fröhlich mit ein. Am Ende jeden Liedes pickte er sich eine Person (meistens eine Dame) heraus und verschenkte noch eine Decke, eine Lupe oder was-weiß-ich.
Zwar konnte ich kein Stück mitsingen, aber die alten Herrschaften beim Singen und Lachen zuzusehen war schon ulkig. Zum Schluss schenkte mir Herrman auch noch so eine himbeerrote Decke „für die kalten Tage und den alten Rücken“, wie er sagte. Ich Jungspund solle schließlich nicht leer ausgehen. Als ich schon stand und die Decke in Empfang nahm, fragte mich Herrman noch, was ich Hüpfer denn bei so einer Fahrt machen würde. Ich erklärte ihm, dass das der Humor meiner Mutter sei, die mich zu meinem Geburtstag auf eine Butterfahrt schickte. Das war ein Fehler. Sofort ging das Gesinge los. Alle kamen auf mich zu, gratulierten mir, die Männer klopften mir freundschaftlich auf die Schultern, die Damen nahmen einfach gleich in die Arme. Ich glaube, eine hat dabei sogar meinen Hintern getätschelt. Was dann doch etwas verwirrend ist.
Zum Abschied gab es noch einen Kurzen „auf den Weg“ und so reich bepackt ging es dann wieder nach Hamburg zurück. Mittlerweile konnte ich sogar bei ein oder zwei Liedern mitsummen, was in meiner unmittelbaren Hörweite zu Beifallklatscherei führte.
Am späten Nachmittag waren wir wieder am z.B. wo mich meine Eltern bis über beide Ohren grinsend in Empfang nahmen. Ich verabschiedete mich von der Silberhaar-Fraktion und ließ mich mit meiner himbeerroten Decke nach Hause fahren.
So schlecht war der Geburtstag und mein „hohes Alter“ dann doch nicht.
Kommentar (1)
Angesichts des ersten Absatzes erspare ich mir mal „Glückwünsche“ 😉
Ich habe ja zu meinem nächtlichen Lesestündchen immer ein halbvolles Glas Wasser greifbar stehen.
Sollte ich irgendwann in den nächsten Jahren anfangen, wie mein längst verstorbener Opa väterlicherseits morgens um halb sechs aufzuwachen, um Wasser zu trinken, werde ich mich ab diesem Zeitpunkt alt fühlen.
Alles andere sind doch eher Gebrechen, die das Ende einer langen Jugend einläuten.