Kürzlich las ich von der mangelnden Medienkompetenz bei Schülern. Da habe ich auch noch eine ähnliche Geschichte anzubieten. Die ist vielleicht drei Jahre alt, spielt zwar nicht in einer Schule, sondern einer Jugendeinrichtung, aber dort verkehren bekanntlich auch „Kinder und Jugendliche im schulfähigen Alter“.
Ein Junge (14?) sitzt am Rechner und winkt mich heran. Er wolle dem Aiman eine eMail schicken. Wie macht er das, will er wissen. Ich denke mir, „der Aiman“ wird wohl ein Kumpel von ihm sein. Also erkläre ich, dass er vermutlich die eMail-Adresse von seinem Freund haben dürfte, sich in seinen eMail-Account (vermutlich online) einloggen müsse, dann könne er ihm eine Mail schreiben.
Okay, das war nichts. Die großen fragenden Augen meines Gegenübers sollten mir ungefähr „Hää?“ sagen. Der Junge stellte nach der ersten Schrecksenkunde fest, dass das nicht sein Freund sei. Das ist der Aiman von Pro7. (Große Augen auf meiner Seite, mit einem unterdrückten „Hää?“.) Und er habe keine eigene eMail-Adresse.
o.a. Ganz schwere Operation. Also gut, meine ich, dann brauchst Du zuerst eine eigene eMail-Adresse. Ich nenne zwei oder drei kostenlose Anbieter für eMail-Adressen und schicke ihn schließlich auf eine Seite, auf der wir nun seine eMail-Adresse einrichten wollen.
Erste Hürde beim Ausfüllen des Formulars: Der Junge will alle Daten wahrheitsgetreu angeben. Ne ne, erste Lektion: Sofern du nicht musst, gibst du auch nicht deine wahren Daten an! Was geht einen eMail-Account-Anbieter an, wie viele Geschwister du hast? Okay. Schnackelt er. Also werden einige Daten leicht abgeändert. Dann die wirklich größte Hürde: Denke dir einen Accountnamen aus!
Nun sind unsere Jugendlichen heutzutage ja sowas von unkreativ (es sei denn, beim Ausdenken von Schimpfwörtern), dass dem Jungen diese Aufgabe extrem schwer fiel. Bei ihm kam hinzu, dass ich kurz erklären musste, was es mit dem Accountnamen auf sich hat, dass der dann „vorn. vor dem @ steht“. Jetzt ging es los… „Gangsta“. „Nein, das kann ich dir so schon sagen, der Name ist 100%ig vergeben.“ Er probiert ihn trotzdem aus. Und – oh Wunder – der Name ist vergeben. „Gangsta2“. Ich sehe, wohin das führt und sage, dass vermutlich alle Gangstas bereits vergeben sind. Er möge sich einen anderen Namen ausdenken. Kurzes Überlegen. „Pittbull“. Abwinken von meiner Seite. Nein, die Pittbulls sind vermutlich auch schon alle weg. Erst erlosch das Licht in seinen Augen. Dann das große Schweigen. Außer „Gangsta“ und „Pittbull“ fiel ihm nichts ein.
Nach einer Weile schlage ich vor, dass er doch einfach seinen eigenen Namen nehmen könnte. Und siehe da, der war frei. *puhh* Ein Accountname war gefunden, jetzt die selbe schwere Geburt bei dem Passwort. *seufz*
Nach eine halben Stunde haben wir also einen eMail-Account für den Jungen eingerichtet. „Und nun?“, der Junge schaut mich an. „Jetzt kann ich eMails schreiben?“. „Ja.“ Große Augen. Schweigen. Eine Fliege surrt an uns vorbei. Fehlen nur noch die Rosen von Jericho. „Und wie mache ich das?“
Klar. Wer keine eMail-Adresse hatte und auch nicht wusste, wie man die einrichtet, der weiß auch nicht, was man denn im Endeffekt mit so einem Ding anfängt. Schnell zeige ich ihm, wo er klicken muss. Nicht ohne doch noch etwas pädagogisch zu werden und ihn vorher zu fragen, was er machen möchte? Schreiben? Dann klicke auf „eMail schreiben“. Da hockt er nun vor dem Eingabeformular und weiß nicht, was ihm das sagen soll (obwohl es doch eigentlich alles auf dem Bildschirm steht!.) An dieser Stelle noch einmal der Hinweis, dass die Kinder doch bitte auch lesen lernen müssten, damit sie kapieren, was da auf dem Schirm steht…
Nachdem er weiß, wo er die Adresse einzugeben hat, trägt er dort die URL von Aiman ein. Schreibt, wie toll er seine letzte Sendung fand und drückt auf den Sende-Knopf. Ich muss nicht erwähnen, dass das nichts wurde…
Was lernen die Kinder heute eigentlich in der Schule? Medienkompetenz scheint etwas wie die sexuelle Aufklärung zu sein: Man erlernt sie durch Freunde oder Geschwister hinter vorgehaltener Hand. Wenn die Schule etwas in der Richtung macht, ist es zum Teil schon zu spät – das halbgare Wissen wurde schon eingepflanzt – oder es ist Müll. Ich erinnere mich daran, dass in Schulen gerne „Informatik“ gelehrt wird, was im Grunde lediglich das Bedienen von Micro$oft-Produkten bedeutet. (Auch so eine Unart, den Kindern nur eine Welt mit Produkten eines Herstellers vorzugaukeln…) Also: Wie benutze ich das Schreibprogramm von der „einen“ Firma, damit mein Lehrer meine Sauklaue bei meinen Hausaufgaben nicht mehr ertragen muss? Und das soll Informatik sein?
Unterm Strich: Es muss noch viel getan werden, damit Kinder und Jugendliche vernünftig mit Medien (nicht nur dem Internet) umzugehen lernen.
Kommentar (1)
Ich kenne solche Storys zur genüge, aber umgekehrt. Jüngling schult Erwachsene in „Medienkompetenz“.