Vom Huhn und dem Ei

Reich-Ranicki hat also seinen Kommentar zur desolaten, unterirdischen deutschen TV-Landschaft abgegeben. Wo er Recht hat, hat er Recht. Anschauen kann man sich den Müll, den deutsche Fernsehsender dem Publikum tagtäglich präsentieren, nicht. Sich dann auch noch selber feiern und gegenseitig die Preise zuzuschustern ist schließlich das i-Tüpfelchen in ‚peinlich‘ (welches i – das kann man sich aussuchen).

Allerdings: Wenn der Fernsehpreis an Pöbel-und-Peinlich-Sendungen wie den deutschen Ableger von ‚American Idol‘ geht – dann liegt das doch daran, weil diese Sendung hohe Einschaltquoten hat. Erfolg misst sich heutzutage nur noch an Einschaltquoten und Klickraten. Da wird (online zumindest) auch gerne getrickst. Hauptsache die Zahlen stimmen. Qualität ist in diesen Fällen nicht einmal mehr Nebensache.

Die gelobten Sendungen können nur deswegen ausgezeichnet werden, weil es Zuschauer gibt, die sich den angebotenen Schrott anschauen. Die Sender sehen, dass ein Format gut läuft und schieben gleich noch eine Sendung von gleicher Nicht-Qualität hinterher. Somit bekommt der Zuschauer nur noch Low-Level-Fernsehen geboten und hat auch gar keine Auswahl mehr, anspruchsvolle Formate zu konsumieren. Wenn denn die Öffentlichen (bei den Privaten kommt sowas nicht vor), dann doch wider Erwarten Niveau bringen, ist der Sendetermin irgendwann mitten in der Woche, kurz vor Mitternacht. Da schaut kein Normalsterblicher mehr rein. Die Öffentlichen können sich allerdings zurücklehnen und die Kritiker mit einem „Wieso? Wir senden doch auch anspruchsvolle Serien, Filme und Dokumentationen!“ abwatschen. Tagsüber und zur Hauptsendezeit wird hingegen auch bei den Öffentlichen hauptsächlich Murks gezeigt.

An dieser Stelle wiederhole ich mich, wenn ich behaupte, dass die Medien (Fernsehen, Print, Radio, Internet) sich genügen. dumme Konsumenten herangezüchtet haben: Erst verflachte Inhalte angeboten, damit – sehr überspitzt – den Konsumenten die Fähigkeit zum Denken genommen und schließlich sich damit die Berechtigung für weitere billig produzierte Inhalte selbst erteilt. Was in diesem Fall schlussendlich in der Selbstbeweihräucherung in Form eines Fernsehpreises mündet.

In einer utopischen Welt würden sich alle Medien darauf einigen, nicht mehr Schrott zu bringen. Dann bliebe dem Konsumenten nichts anderes übrig, als wieder ‚Anspruch‘ zu lernen. Herr Reich-Ranicki hätte in dieser Welt kein Problem gehabt, einen Preis anzunehmen. So kann ich ihn allerdings gut verstehen.

Übrigens: Schaut man sich noch einmal seine Rede an und betrachtet dabei die Reaktionen des Publikums, kann einem auch nur davon schlecht werden. So manches TV-Sternchen schien nicht begriffen zu haben, dass Reich-Ranicki das „Schauspieler“-Zombichen angegriffen hat. Die Nervosität bei denen, die dann doch die Kritik begriffen hatten, war allerdings auch nicht das Gelbe vom Ei, hörte man doch selbst beim Husten des 88-Jährigen das Publikum lachen. :nene:

Die Medien berichten relativ neutral, bis zustimmend über den „Eklat“. Die Blogosphäre ist sich eigentlich ziemlich sicher, dass Reich-Ranicki absolut im Recht ist. Die angegriffenen Sender hingegen sind zwiegespalten. Die Öffentlichen reden ihm nach dem Munde. Man will sich ja keine Blöße geben, hat man doch noch irgendwo, auf irgendeinem Vertrag stehen, dass man einen Bildungsauftrag hat. Oder so ähnlich. Die Privaten sind entsprechend empört. Wahrscheinlich kommen dort demnächst noch Reich-Ranicki-Bashing-Sendungen oder Bücherverbrennungen vor …

Kommentare (5)

  1. tboley schrieb:

    Die Reaktionen des Publikums sind in der Tat merkwürdig. Es scheint fast so, als ob die Sternchen ein Niveau erreicht haben, in der sie Kritik nicht mehr als solche begreifen können. Ob Reich-Ranicki allerdings generell im Recht ist, sei mal dahin gestellt. Nicht alles, was im fernsehen läuft ist Schund (Das leben der Andere, fällt mir spontan ein weil es zuletzt lief). Das die Preisverleihung selber grenzwertig ist, trifft aber wohl zu.

    Montag, 13. Oktober 2008 um 14:11 #
  2. Boogie schrieb:

    Was mich wirklich erstaunt ist das alle auf der Marcel Reich-Ranicki Geschichte rumreiten und (bis auf Elke Heidenreich in der FAZ und die Passauer Neue Presse) es scheinbar niemand schert, das der eigentliche Skandal Gottschalk selbst war. Deutlicher als seine „Würdigung“ der RTL Serie „Die Ausreisser“, kann man den erbärmlichen Charakter dieser Preisverleihung nicht aufzeigen. Ab Minute 1:33 auf YouTube. Und ich weiss nicht, was ich beschämender finde: das Gottschalk Zitat oder das niemand im Saal aufgestanden ist und niemand auf die Idee kam seinen Fernsehpreis aus Protest wegen soviel Menschenverachtung zurückzugeben.

    Montag, 13. Oktober 2008 um 17:21 #
  3. Nils schrieb:

    @tboley: Naja, Das ‚Leben der Anderen‘ lief, wenn ich mich recht erinnere, zu moderater Zeit auf arte und ein paar Tage später zu unmöglicher Zeit auf ARD. Was das Bild mit dem „Aber wir senden doch auch anspruchsvolle Dinge“ – auch wenn zu nachtschlafender Zeit – nur bestätigt.

    @Boogie: Ja, das ist ein Unding! Ging unter, weil sich niemand die Sendung voll angeschaut hat. 🙂 Klingt wie: „Los, wie wäre es, wenn ihr noch ein paar Kinder verwahrlosen lasst, auf das wir deren Schicksale als Unterhaltung bringen können!“ Unmöglich!! X-(

    Dienstag, 14. Oktober 2008 um 01:11 #
  4. tboley schrieb:

    @Nils: Na ja, 20:15 auf ARD ist meiner Meinung nach schon eine moderate Zeit…

    Dienstag, 14. Oktober 2008 um 09:26 #
  5. Nils schrieb:

    Okay. Wie komme ich bloß auf eine spätere Zeit? Naja. Da habe ich mich geirrt. Dennoch bleibt das eine absolute Ausnahme, das musst Du schon zugeben. Um beim Huhn zu bleiben: das blinde findet auch mal ein Korn. Aber nur selten …

    Dienstag, 14. Oktober 2008 um 09:36 #