Eine Arbeitskollegin, die seit etwas über einem Jahr in Hamburg weilt und arbeitet, meinte noch kürzlich zu mir, es sei so schwer, echte Freunde zu finden. Mit den letzten Kraftreserven und einer von einer Erkältung brüchigen Stimme entgegnete ich, dass das aber kein Problem sei, das man nur in Hamburg habe. Gerne hätte ich mich mehr über dieses Thema unterhalten.
Freunde finden ist immer schwer. Klar. Bekanntschaften aufbauen hingegen nicht. Erst kürzlich unterhielt ich mich mit dem hochgeschätzten Herrn S. (den ich einen Freund nennen darf), der zu berichten wusste, dass seine Schüler den Begriff „Freund“ ganz anders benutzen, als wir es machen. Jede Bekanntschaft — und oft noch nicht einmal das — wird zum Freund erklärt. „Der ist mein Freund, die ist meine Freundin, die auch und der da ist ebenfalls ein Freund.“
Dabei sind gar nicht Freunde gemeint. Freunde muss man suchen, manchmal fallen sie einem in den Schoß oder sie wachsen an einen heran. Die Kollegin meinte, damals in der Schule wäre es einfach gewesen. Klar. Man hockte tagtäglich auf einem Haufen und lernte sich kennen. Man unterhielt sich, man spielte miteinander, man schmiedete einen Packt gegen diesen oder jenen Schüler, gerne auch gegen Lehrer. Man lernte zusammen, man lud sich gegenseitig zum Essen (bei Mutti) ein. Hier wuchsen Freundschaften.
Eine ähnliche Institution ist z.B. die Uni. Auch hier findet eine „Live-Rudelbildung“ statt, muss man sich mit den selben Professoren rumschlagen, man verbrüdert sich, man feiert, man diskutiert, man lernt sich kennen, filtert aus und übrig bleiben — ganz, ganz simpel die Rechnung, ich weiß — Freunde.
Und heute? Freund ist, wer in meinem Facebook-, StudiVZ- oder einem anderen Web2.0-Profil steht. Dabei kennt man die Leute nicht, hat die womöglich nie persönlich getroffen, weiß gar nicht, ob der oder die Gegenüber wirklich das ist, was er/sie vorgibt zu sein. Einen wirklichen Einblick in die Person gewinnt man so nicht. Trotzdem ist sie mit einem Klick ein Freund.
Herr S. erzählte, dass die Schüler voller Überzeugung von Freunden sprechen. Das sind keine Internet-Bekanntschaften, sondern Freunde! Eine Differenzierung gibt es nicht mehr. Und je mehr „Freunde“ man hat, desto besser, desto höher ist man angesehen. „Ich habe 207 Freunde!“ „Na und, ich 482!“ (Das klingt wie eine Art modernes Quartett. — Spielen die Kinder das heute noch? So mit Karten?)
Der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl erklärt in einem Zeit-Interview über Amokläufer eigentlich — nebenbei — genau den Grund für diese neue Sammelwut von Freunden:
Soziales Überleben hängt heute mit Sichtbarkeit und diese mit Aufmerksamkeitsökonomien zusammen. Wer nicht gesehen wird, existiert nicht. Der Bedarf geht nicht auf weniger, sondern auf mehr Selbstdarstellung und Öffentlichkeit. Man muss auffällig sein, Unauffälligkeit hat keine gute Konjunktur.
Die Jugendlichen können sozial nur überleben, wenn sie auffallen. Das macht man durch möglichst viele „Freunde“. Auch wenn das gar keine Freunde sind. Wichtig ist, dass der eigene Avatar bei möglichst vielen anderen Usern in der ?Freundesliste“ erscheint, eben sichtbar ist.
Kommentar (1)
Die deutsche Sprache ist aber auch Arm an Zwischenstufen für den Begriff Freund und Freundin. Solange man nicht mit seiner Partnerin verheiratet ist, solange ist sie die Freundin (Lebensabschnittpartner mal außer acht gelassen).
Zu der Situation in HH würde ich sagen, schwerer als im Rheinland. Wenn dann aber richtig.