Da saß ich gerade mitten im Berwerbungsgespräch, ließ den Bewerber einige Aufgaben bewältigen, als draußen die Musik einsetzte. Erst kürzlich wurde es am Gänsemarkt schon mal laut.
Über 4.000 Hamburger aus 120 Vereinen, Zusammenkünften und Initiativen zog von der Moorweide mit bunten Wagen und echt lauter Musik durch die Stadt, um gegen die ständige Gentrifizierung in Hamburg zu protestieren. Bezahlbarer Wohnraum wird in der „Reichen- und Hansestadt Hamburg“ immer knapper. Dafür werden wir mit hässlicher, langweiliger Stahl- und Glasarchitektur überflutet, in denen die Mieten nicht billig sind. Die Stadt wird „gesäubert“ von all denen, die nicht das passende Kleingeld haben. Dagegen haben nun die Hamburger aufbegehrt.
Der Bewerber war so schon nervös genug, das laute Bumm-Bumm und das nicht zu verstehende Megafon-Geplärre machte ihn nicht ruhiger. Also versicherte ich ihm mit einem Lächeln und einem Augenzwinkern, dass das so jeden Abend in Hamburg sei: wir machen Party! Mein Kollege schaute mich fragend an, was denn da draußen los sei. „Recht auf Stadt“ war meine Antwort.
Der Zug war wahrlich groß und so laut — das habe ich noch nie gehört. Ehrlich: Ich habe mich tierisch gefreut, dass lautstark auf die Missstände in Hamburg hingewiesen wurde. Ich möchte nicht pauschalisieren und sagen „Dafür liebe ich meine Hamburg“, ich sage aber „Dafür liebe ich diese Menschen, die bei -8 Grad Celsius und bei Schneefall den Mund aufgemacht haben.“ Danke an die Teilnehmer!
Umwege für Gerechtigkeit
Dabei stand der Umzug schon von Anfang an unter einem schlechten Stern. Offensichtlich hatten einige Öbere verdammtes Muffensauen bekommen, als sie von der geplanten Demo hörten. Schnell sah man ein Gefahrenpotenzial in dem Umzug und eine Route quer durch die Innenstadt (wo alles so schön weihnachtlich glitzert und kaufstarke Wirtschaftsmotoren ihre Kreise durch die Läden ziehen) wurde verboten. Als ich davon hörte, war mein erster Gedanke: Die haben Angst vor dem Volk; vor des Volkes Meinung (was man an diversen, ignorierten Volksentscheiden ebenfalls erkennt).
Eine Beschwerde gegen die Routenverlegung wurde vom OVG zurückgewiesen. Der Umzug war verdammt, einen unspektakulären Weg zu nehmen. Demnächst finden solche „unangenehmen“ Demonstrationen nur noch auf einer Wiese im Freihafen statt. Hauptsache niemand bekommt davon mit …
Doch eine Vor-Ort-Verhandlung am Gänsemarkt ergab, dass die Route über Feldstraße, Budapester Straße, Simon-von-Utrecht-Straße zum Frappant führen durfte. Vielleicht nicht so publikumswirksam — aber immerhin nicht die Wiese im Freihafen.
Als ich später runter kam, stand ich vor einer Wand aus Polizisten! Ich habe wirklich noch nie so viel Polizisten auf engstem Raum gesehen gehabt. An der Ecke Dammtorstraße und Valentinskamp stand ein riesiger Zug aus bunten Wagen. Es wurde lautstark Reggaemusik gespielt und einige Fahnen geschwungen. Diese Szene wurde komplett abgeriegelt von schwarz uniformierten Polizisten. Wasserwerfer standen bei der Eiseskälte bereit. Künstler, Schrebergärtner, Eltern mit behinderten Kindern — davor hat der Senat Angst. Unglaublich.
Ich musste weiter. Aber beim Weggehen brodelte es in mir. Ich habe mich extrem darüber aufgeregt, wie die Menschen als potenzielle Kriminelle behandelt wurden. Die Öberen müssen wirklich Angst haben. Oder? Wahrscheinlich nicht. Bestimmt findet sich ein Weg – über die Presse – ein verzerrtes Bild zu zeichnen …
Ein Volk sollte keine Angst vor seiner Regierung haben. Eine Regierung sollte Angst vor ihrem Volk haben.
Ganz so schlimm wie in dem Film „V wie Vendetta“, aus dem dieses Zitat stammt, ist es nicht in Hamburg. Angst haben wir nicht. Wir sind nur stinksauer auf die Hamburger Regierung. Was diese Demonstration deutlich zeigte.
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[…] *Magerfettstufe* Wir sind nicht mehr länger leise Da saß ich gerade mitten im Berwerbungsgespräch, ließ den Bewerber einige Aufgaben bewältigen, als draußen die Musik einsetzte. Erst kürzlich wurde es am Gänsemarkt schon mal laut. http://www.magerfettstufe.de/index.php/2009/12/19/wir-sind-nicht-mehr-laenger-leise/ […]