Weder – noch

Stimmzettel

Nur noch wenige Tage, dann ist in Hamburg Volksentscheid zum Thema Schulreform. Praktisch in den Schulferien gelegen, wenn niemand zur Wahlurne geht. Ungünstig in den Schulferien gelegen, weil die Umsetzung innerhalb kurzer Zeit bestimmt problematisch enden wird.

Dies ist übrigens der erste Volksentscheid, bei dem ich nicht weiß, was ich ankreuzen soll. Bisher war es so, dass eine Volksinitiative einen Vorschlag machte, der gegen eine Idee vom Senat stand. Wollen wir mal ehrlich sein: Das, was der Senat, dieser Senat, an Vorschlägen vorbringt, ist in der Regel Müll. Es wird nur auf wirtschaftliche Aspekte abgezielt, der Hamburger, der Bürger — der bleibt bei dieser Politik außen vor. Als Bürger ist es da durchaus leicht, eine Position zu finden. Nicht bei der Schulreform …

Dass das Schulsystem (das Bildungssystem allgemein, das schließt auch die Universität ein), einer Veränderung bedarf, dürfte angekommen sein. Also müsste man eigentlich für den Senatsvorschlag sein. Was ein Novum wäre.

An dieser Stelle muss ich gestehen, dass ich von dieser Thematik nicht unbedingt betroffen bin. Wenn jemand meinen Stadtteil umkrempeln will, wenn jemand Grünflächen abholzen will, wenn jemand einen bestimmten Energiekonzern begünstigt — dann betrifft mich das direkt und ich habe eine Meinung dazu. Bei der Schulreform bin ich nicht betroffen. Und somit auch eher faul, mich in das Thema hineinzulesen.

Was macht man in solchen Fällen? Man hört sich im Bekanntenkreis um und kombiniert das mit dem Wenigen, was man bisher gelesen hat.

Eine befreundete Mutter, deren Sprössling unmittelbar von der Reform betroffen ist, da er in die 5. Klasse kommen soll — Nur auf welche Schule? —, die war nicht gerade gut auf den Senatsvorschlag zu sprechen. Zu viel Ungereimtheiten, zu viel Chaos. Und da soll sie ihren Sohn reinschmeißen? Zumal sie meinte, dass die angesprochenen Lehrer an der Grundschule auch alle keinen blassen Schimmer haben, wie der Senatsvorschlag umgesetzt werden soll. Na klasse. — Hier darf ich noch einmal an die Geschichte erinnern, in der Schulsenatorin Goetsch selber gesagt haben soll, dass sie es nicht wisse, wie die Reform umgesetzt wird, Hauptsache ist, dass sie umgesetzt wird. Und das müssten dann Lehrer machen. Denn wenn der „Spaß“ den Bach runtergeht, wäre sie damit fein raus …

Gut, fragen wir also einen Lehrer. Ist er näher am Puls dran? Weiß er mehr als die Mutter? Sein Wissen lässt sich so zusammenfassen, dass auch er der Meinung ist, die Schulreform könne nur im Chaos enden. Verwaltungstechnisch scheint die Schulreform ein vorprogrammiertes Desaster zu sein. Grundschulen brauchen auf einmal mehr Platz als vorhanden ist. Weiterführende Schulen müssen Lehrer abgeben und haben plötzlich Raumleerstand. Wie war das mit dem „Verbrüdern“ von GrundPrimarschulen mit Gymnasien? Um z.B. eine Ausbildung mit musischem Schwerpunkt zu garantieren, müssen sich Primarschulen und Gymnasien abstimmen. Die grundlegenden musischen Kenntnisse müssen in der Primarschule gelehrt werden, damit auf dem Gymnasium — Stadtteilschule ist Resteschule und interessiert anscheinend nicht — der Filius weiterhin eine gute musische Ausbildung erfährt. Das Kind muss auf Primarschule A um dann später auf Gymnasium B gehen zu können.

Zur Urne!

Seit ich wahlberechtigt bin, habe ich keine Bundestags- oder Landtagswahl ausgelassen. Diese wenigen Sekunden Demokratie will ich mir nicht entgehen lassen. Aber was mache ich mit einem Volksentscheid, zu dem ich keine Meinung habe?

Der Senatsvorschlag kommt vom Senat und muss von sich aus abgelehnt werden. — Okay, das ist nun wirklich kein Argument. Vielleicht haben sie ja doch mal die Rolle des blinden Huhns eingenommen? Aber anscheinend haben sie es nicht. Das Konzept kann nicht überzeugen. Dann also doch für den Gegenvorschlag von „Wir wollen lernen“? Ich weiß nicht … — Soll man jemanden unterstützen, der das Schulsystem bewusst auf einem alten Stand halten will? Mit alten, verkrusteten Strukturen? Auch nicht gut…

Der befragte Lehrer hat dann im Endeffekt die einzig mögliche Kreuzkombination gemacht: Ein Kreuz beim Nein zur Volksinitiative und ein Nein zum Senatsvorschlag. Wer sagt, dass der eine oder der andere Vorschlag die Ultima ratio ist? Wenn beide schlecht sind, kann man doch seine Meinung diesbezüglich kundtun, oder?

Im Grunde eine gute Idee. Allerdings denke ich, dass im Endeffekt nur die Ja-Stimmen zählen. Niemand wird sich dafür interessieren, dass man mit keinem Vorschlag zufrieden ist und u.U. nur schlechte Modelle zur Wahl standen, man also mit seiner Ja-Stimme lediglich dem kleineren Übel seine Stimme gegeben hat — anstatt einem vernünftigem Konzept.

Bevor jemand fragt: Ich weiß nicht, wie das ideale Modell aussehen soll. Der Gedanke einer Gesamtschule ist gut. Interessant übrigens, dass die CDU, die immer Hexenjagd auf Gesamtschulen gemacht hat, nun mit der Stadtteilschule (oder auch Reste-Schule genannt) eine Gesamtschule vorschlagen, nur unter einem anderen Namen. Die Abgrenzung nach 12-Jahre-Elite und 13-Jahre-Rest finde ich jedenfalls nicht gesund. Riecht nach Zweiklassen-Gesellschaft. Was allerdings wieder dem Ziel des CDU-Senats absolut zu entsprechen scheint.

Chaos oder Stillstand? Was für eine blöde Wahl man da hat …

Und dann noch das …

Zum Schluss kann ich mir nicht verkneifen, dass unser Schwiegersohn Spaß-EB von Beust sein Modell mit aller Gewalt durchprügeln will. Da kann man auch schon mal — zumal bei dieser ekligen Hitze — eine Schlammschlacht anfangen und behaupten, dass alle die gegen ihn sind — Nein, diesmal nicht gegen Fortschritt oder gegen das Vaterland o.ä. —, auch gegen Ausländer sind. Ganz peinliche Nummer …

Zumal Migranten wiederum an dem Volksentscheid nicht teilnehmen dürfen.

Kommentare (2)

  1. Kerstin Kleenworth schrieb:

    Lieber Nils,
    das ist ein sehr interessanter Artikel, zumal Sie nicht in der Materie „drin“ sind. Das allerdings bin ich. Ich bin Mutter von 3 Kindern (9, 12 und 13 Jahre alt). Damit sind meine Großen genau in dem Altern, in dem nach den Plänen des Senats über sie entschieden werden soll, wie ihre weitere Schullaufbahn verlaufen soll. Mein 13 jähriger ist total in der Schule abgesackt, da er sich Mitten in der Pubertät befindet. KEIN Mensch würde dieses Kind mit dem vergleichen können, das es noch im letzten Jahr war. Und JETZT zu entscheiden, wie der weiter Schulweg aussieht (innerhalb eines Jahres!!!) und danach keine Möglichkeit mehr zu haben, diese Schullaufbahn zu wechseln – denn so sieht das neue Schulgesetz aus! – halte ich für absolut falsch. Er wird nicht mehr auf eine Stadtteilschule wechseln können … Er MUSS einen Abschluss auf dem Gymnasium machen. … Und wenn er ein Jar s.o. absackt, dann darf er auch nicht mehr wiederholen. Das halte ich absolut für unfair!
    Des Weiteren bin ich der Meinung, dass eine Verlängerung der Grundschulezeit NICHTS bringt. Die Kinder müssen die (annähernd) gleichen Startbedingungen bekommen. Wenn sie alle mit ungefähr den gleichen Sprachkenntnissen eingeschult werden NUR dann haben sie die Möglichkeit, was aus ihrer Schullaufbahn zu machen! Und ich glaube, dass es dann auch egal wäre, wie lange die zusammen sind!
    Aber eine Frühförderung ist vom Senat nicht vorgesehen – im Gegenteil: die kostenlose Vorschule ist ein Auslaufmodell, gesichert nur bis zum Ende des nächsten Jahres. Was dann? Dann müssen die Kinder die kostenpflichtige KiTa besuchen, aus der, nach der neusten Erhöhung derer Gebühren, sowieso schon diverse Kinder abgeschult wurden. Und das waren mit Sicherheit NICHT die Kinder der Besserverdienenden ..
    Ich hoffe, dass Ihnen mein Kommentar bei der „Kreuzfindung“ geholfen hat. Ansonsten schreiben Sie mich gern an!
    Viele Grüße
    Kerstin Kleenworth

    Samstag, 10. Juli 2010 um 16:59 #
  2. Biene Maja schrieb:

    Ja, eine schwierige Entscheidung, aber: in Hamburg wird auch ohne Primarschule die größte Schulreform aller Zeiten durchgeführt, von Stillstand kann wirklich keine Rede sein!
    1. Es wird die Stadtteilschule und damit das Zweisäulenmodell eingeführt. Wie immer man dazu stehen mag: die Kinder, die auf diese Schulen gehen werden, haben es verdient und wir sind es ihnen schuldig, dass alle Kraft da hineingegeben wird, dass diese Schulform glückt und eben keine „Resteschule“ wird. Dies erfordert von den zuständigen Behördenmitarbeitern und Rektoren und Lehrern höchste Konzentration!
    2. Es wird eine neue Lernkultur etabliert und zwar nicht einfach so in den Raum gestellt, sondern durch konkrete Bildungspläne festgeschrieben! Das hat es wirklich in sich! Die Bildungspläne einer Gesellschaft diktieren, was gelernt werden soll für ganze Generationen. Auch hier werden sich alle Lehrer massiv umstellen müssen und auch hier braucht es alle Kraft, um das umzusetzen, auf das es überhaupt ein Erfolg werden
    kann.

    Von Stillstand nach erfolgreichem Volksbegehren kann also überhaupt keine Rede sein. Man würde nur einen unnötigen Strukturwechsel, für dessen Wirksamkeit es keinen Beweis gibt, als Zwangsmodell unterlassen.
    Andere Dinge, deren Wirksamkeit für die Bildungschancen erwiesen sind, könnte man angehen (Frühförderung, Deutschunterricht, Ganztagsschulen).

    Na, ist es immer noch so schwer sich zu einer Entscheidung durchzuringen?

    Samstag, 10. Juli 2010 um 19:44 #