Was in Stuttgart passiert ist, ist — milde ausgedrückt — nicht schön. Wenn Menschen, die sich für etwas einsetzen (hier den Nichtbau von S21), dabei von Ordnungshütern verletzt werden, wenn wie geschehen, Kinder und Jugendliche mit Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstock am Demonstrieren gehindert werden, hört der Spaß auf. In diesem Fall ist keine Ordnung gewahrt worden. Die Situation eskalierte. Beide Fronten beschuldigen sich gegenseitig. Aus der Berichterstattung lässt sich eine Sympathie für die S21-Gegner entwickeln. Immerhin sind sie es auch, die mit Augenverletzungen, gebrochenen Nasen und Prellungen behandelt werden mussten. Am Ende bleiben dann alle den Demonstrationen fern.
Innenminister Rech bricht sich im ZDF-Interview einen ab, so dass man den Eindruck gewinnen kann, alle Mütter auf Demonstrationen würden ihre Kinder instrumentalisieren. Und da dem so ist, dürfte sich niemand wundern, wenn diese dann den Schlagstock oder das Reizgas zu spüren bekommen. Laut Rech soll der Bürger sein Recht auf Demonstration wahrnehmen. Aber bitte leise …
Als ich heute das erste Mal von dem Vorfall las, erinnerte ich mich an Ende 2009. Es war bitter kalt, es schneite wie schon lange nicht mehr in Hamburg. Die Bürger organisierten sich friedlich, fröhlich, um gegen die soziale Kälte des aktuellen Senats und dessen oft größenwahnsinnigen Plänen zu protestieren. Eine Route über die Mönkebergstraße wurde damals verboten — man wollte die Weihnachtseinkäufer nicht verschrecken. Wie schon damals beschrieben, sah ich noch nie sie viel hochgerüstete Ordnungshüter. Auch damals, bei Minusgraden, standen Wasserwerfer friedlichen Demonstranten gegenüber. Schauen wir auf die jüngsten Ereignisse in Baden-Württemberg, können wir nur froh sein, dass seinerzeit bei der „Recht auf Stadt“-Demonstration nichts eskaliert ist.
Steht auf
Die Tatsache, dass heutzutage überhaupt noch Menschen für ihre Meinung auf die Straße gehen, finde ich fantastisch. Das zeigt, dass die Medien die Bürger noch nicht total weichgekocht haben. Nicht alles was in den Zeitungen vorgekaut und auch nicht alles, was im Fernsehen gezeigt wird — Wir wissen alle: Der Fernseher hat immer Recht! — wird einfach hingenommen. Das wäre natürlich für jeden Regierenden ein famoses Fest.
Es zeigt ebenfalls, dass die Bürger mit ihren Politikern unzufrieden sind. Dort wird, wie es scheint, nicht mehr für den Bürger gearbeitet. Das sehen wir hier in Hamburg ständig und vollkommen unverhohlen. Da darf man sich dann auch nicht wundern, wenn die Menschen frustriert sind — woraus ganz leicht Aggression entstehen kann.
In Stuttgart also die Übergriffe der Polizisten, in Hamburg zumindest das Potenzial dafür (von den Ausschreitungen in der Schanze reden wir mal nicht). Ist das die Antwort der Regierenden auf die selbstverschuldete Unzufriedenheit bei den Bürgern? Muss man sich Sorgen machen?
Nachgeschaut
Klar, man könnte es an dieser Stelle abbrechen und sagen: Politiker sind nur auf das Füllen ihrer eigenen Taschen und dem Streicheln des Egos bedacht. Diesen Satz würde ich sogar noch so stehen lassen. Aber bei dem bild. dass die Polizei auf der einen Seite und die Demonstranten auf der anderen Seite stehen, da muss man schon hinzufügen. dass auch die Polizisten Menschen sind. Und Bürger. Als solche kann es sein, dass bei ihnen in so einer Situation die Nerven blank liegen. Allerdings kann es auch sein, dass sie sich auf Eskalation jeder Art gefreut haben. Oder sie einfach nur Ausführende sind, die die Befehle von oben befolgen. Die beiden letzten Punkte sind wiederum besorgniserregend …
Kommentare (4)
Ich stimme dir in weiten Teilen zu, aber auch was Nico hier schreibt => http://lumma.de/2010/10/01/stuttgart-21-ich-verstehe-das-alles-nicht/
hat durchaus einen wahren Kern.
Als Vater von zwei Kindern kann ich nur sagen: Unser Recht auf frei Meinung UND Meinungsäusserung ist ein wichtiges, schützenswertes gut und ich versuche auch das meinen Kindern mitzugeben, dennoch: Zu einer Demo, wo ich mit Räumung rechnen muss würd ich sie nicht mit nehmen. Ich würd sie ja auch zum Schanzenfest mitnehmen, aber ich würd nicht mit ihnen bleiben bis es (warum auch immer und wer auch immer verantwortlich ist oder von wem Eskalation ausgeht – alles völlig uinerheblich) Ausschreitungen gibt.
Was dort passiert ist, kann man nicht schönreden.
Es ist eine himmelschreiende Sauerei. Manchmal habe ich das Gefühl, dass auf Eskalation hingearbeitet wird. Und DAS finde ich dann besorgniserregend…
Wir werden zeigen dass wir da sind. Wir werden nicht die Augen zumachen. wir lassen uns nicht einschüchtern. Kommt alle zur Demo noch Stuttgart.
Wie ist der Stand der Dinge in Stuttgart? Man hört gar nicht mehr so viel in den Medien.
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