Als ich das erste Mal in die neue Scheibe von Kettcar reingehört habe, dachte ich Die hört sich an wie jede andere Scheibe von denen. Nichts neues also. Schade.
Tatsächlich habe ich etwas gewartet mit dem Kauf. Wollte ich eine langweilige Scheibe erwerben, die davon zeugt, dass Musikern nichts mehr einfällt? Nein. Ich habe es dennoch gewagt.
Anfangs ist das, was man auf Zwischen den Runden geboten bekommt, wirklich Einerlei. Man muss erst genauer hinhören. Die Texte sind es, die (teilweise) überzeugen oder überraschen können.
Rettung, das erste Lied, ist von der Musik her beschwingt und lustig. Es handelt von einem Mann, der seiner Frau/Freundin von einer Trinktour nach Hause hilft. Diese übergibt sich. Alles eklig, aber wenn man liebt, steht man auch zu seiner Freundin, die Erbrochenes im Haar hat. Naja. Gleich am Anfang geht es darum, noch 800 Meter
zurückzulegen. Das hört sich an wie die 200 Meter in Landungsbrücken raus von ihrem Debüt-Album Du und wieviel von deinen Freunden. Also doch nur Abklatsch von Altem?
Es geht fröhlich weiter mit Im Club. Irgendwas übers Leben im Allgemeinen. Kommt mir aber auch verdächtig vertraut vor. Schwebend ist als drittes Lied ein Abtörner. Kein Wort darüber. Ebenfalls sehr ruhig ist Weil ich es niemals so oft sagen werde. Ein schönes Liebeslied.
Ein häufiges Motiv auf Zwischen den Runden sind Tod und Krankheit. Nach Süden ist eines dieser Lieder. Hier geht es nach langem Krankenhausaufenthalt nach Hause. Schöner Satz:
Wie viele Menschen kann ein Mensch umarmen?
Zurück aus Ohlsdorf, dem größtem Parkfriedhof der Welt, ist ebenfalls ein Lied, das vom Tod handelt. Ein alter Freund ist gestorben, man hat sich lange nicht mehr gesehen, aber anscheinend war der Zurückgebliebene ein wichtiger Teil des viel zu früh Verstorbenen. Schon ein wenig Kloß-im-Hals-Stimmung.
Ein Zimmer handelt gleich noch einmal vom Sterben. Die lustigste, sorgloseste Scheibe ist das nicht gerade.
Neben den vielen deprimierenden, drückenden Stücken gibt es auch einige Highlights. Zwar ist Schrilles, buntes Hamburg nicht musikalisch mein Ding, aber die Thematik gefällt mir sehr. Hier wird mit Gentrifizierung abgerechnet, der zugebauten HafenCity. Der angesprochene Malerfürst, der Hamburg verlässt — aber nicht namentlich genannt wird —, könnte Daniel Richter sein. Wenn jemand eine Spitze gegen die Elbdisharmonie austeilt, gibt das natürlich Pluspunkte:
Euer Leuchtturm ist wirklich schön geworden.
Verkauft die Stacheldraht-Aussicht an die trampelnden Horden.
Erkenschwick, ein Städtchen in Westfalen, handelt von einem kleinen Jungen, der mit der Bahn ans Meer will. Ein schönes Lied über Weisheiten.
Wenn du nicht hast, was du liebst, musst du lieben, was du hast.
Unterm Strich ist Zwischen den Runden nicht meine Lieblingsscheibe von Kettcar. Zu viel Schwere in den Texten und zu wenig Neues in der Musik. Vielleicht habe ich aber auch langsam Marcus Wiebuschs monotonen Gesang langsam über.
Hardcore-Kettcar-Fans sind bestimmt begeistert, zeigt der neue Tonträger der Hamburger Band doch, dass das Quintett erwachsen geworden ist. — Argh. Wenn ich das schon lese, wird mir schlecht.
So ist das nun mal. Wir werden alle älter und erleben nicht jeden Tag lustige Dinge.
Nils, 12.02.2012