Der Hamburger Musiker Niels Frevert lud ein, ihm und seiner Band auf Kampnagel zu lauschen. Das Besondere an diesem Konzert zur aktuellen CD Zettel auf dem Boden: Frevert hatte neben Schlagzeug, Klavier, Bass und Vibraphone auch noch vier Streicher mit auf der Bühne. In der doch recht großen K6 gab es Bestuhlung, verbunden mit Streichern, das sah nach einem besonderen, einem „gehobeneren“ Abend aus.
Als Vorgruppe trat Desiree Klaeukens mit Begleitung auf. Die Sängerin und Gitarristin brauchte zwei Lieder und diverse Geschichten, bis sie das Publikum auf ihrer Seite hatte. Gut 40 Minuten spielte und plauderte die junge Wahl-Berlinerin aus dem Pott, wo man noch nach Budnikowski
sagt — und dazu steht.
Nach einer zwanzigminütigen Pause kam dann Frevert mit Band auf die Bühne. Im ersten Teil des Konzerts spielte er hauptsächlich Stücke aus seiner aktuellen CD. Als Einstiegsstück wählte Frevert das wunderschön traurige Schlangenlinien. Die Streicher, die man von der Scheibe kennt, wirkten live noch einmal mehr beeindruckend und so manches Mal gab es Gänsehaut, so ergreifend war die Musik.
Frevert, der normalerweise recht verschlossen auf seinen Konzerten ist, wirkte diesmal sehr befreit. Er plauderte, erzählte Geschichten zwischen den Stücken. Da war z.B. die, in der er Herman Van Veen eine CD geschickt hat, um ihm zu zeigen, was er aus dessen Lied Bis mich jemand hört gemacht hat — zurück kam ein Paket mit einem Bademantel, der eine Alfred Jodocus Kwak-Stickerei auf der Brust hatte. Da lief wohl etwas schief.
In der Halle K6 auf Kampnagel lief in den etwas über 90 Minuten kaum etwas schief. Der Sänger, so schien es, vergaß zweimal kurz den Text, aber das war nicht schlimm, lächelte er doch schelmisch während er weiterspielte. Die wunderbaren Texte Freverts, zusammen mit seiner Band und den vier Streichern erzeugten ein so positives Gefühl, dass — und das klingt nun extrem kitschig, ich weiß — ich kurzfristig den Gedanken hatte, wenn doch nur alle dieser Musik lauschen würden, alle an dieser Kunst teilhaben könnten, dann wäre die Welt eine bessere. Ja. Schmalzig. Aber der Gedanke war nun einmal da und ließ sich nicht verscheuchen. Dafür bestand auch kein Anlass. Warum diese herrliche Stimmung durch schwere Gedanken zerstören?
Es ist stets ein Pluspunkt, wenn die Künstler auf der Bühen ein oder zwei Worte zu ihren Stücken verlieren. Bei Frevert sind diese seltenen Worte ans Publikum Gold wert. Ebenso die Variationen seiner Stücke. Es gab Doppelgänger von seiner ersten CD als schnelle Nummer, wie auch schon beim Übel & Gefährlich-Konzert Ende 2011. Der Vibraphon-, Akkorden-, Trompete- und Was-weiß-ich-noch-alles-Mann (Sorry, den Namen habe ich nicht parat) spielte dazu ein wildes Stück auf seinem Blasinstrument, was wiederum den Cellisten geradezu in Ekstase versetzte, so beglückt saß er in der hinteren Reihe bei seinen drei Kolleginnen und freute sich über diese Interpretation des Lieds.
Auf Doppelgänger folgte Seltsam Öffne Mich als ruhiges Stück. Frevert alleine am Mikrophon, keine Gitarre, nur Streicher im Hintergrund. Da war er wieder der Gänsehaut-Moment.
Zum Ende hin — und es war so schade, dass es ein Ende geben musste — wurden mehr alte Stücke gespielt und die Stimmung ging von ergriffen-angerührt zu beschwingt und fröhlich über. Frevert spielte noch eines dieser Stücke die man nie los wird
— Kickdown von der Schwarzen EP. Als Abschluss gab es dann noch einmal Seltsam Öffne Mich, diesmal mit voller musikalischer Unterstützung. Frevert war mittlerweile selber so gut drauf, dass er beim Gitarrespielen auf der Bühne tanzte.
Etwas über 90 Minuten waren vorbei, zwei Zugaben-Sets gab es und das doch ziemlich volle K6 leerte sich. Ein wunderschöner Abend war zu Ende.
Abschließende Worte
Ein Wort zur Stimmung. Im Vorfeld hatte ich gehofft, dass man bei einem Konzert mit Streichern sitzen würde. Und wir saßen. Das ist dem Anlass entsprechend. Es gibt aber einen enormen Unterschied zwischen einem Sitz- und einem Stehkonzert. Die Stimmung im Publikum ist verhaltener. Man lauscht, man träumt, man genießt. Es ist kein Konzert, wo die Leute dicht an dicht gedrängt stehen, eine Bierflasche in der Hand, tanzend, schunkelt und unter Umständen grölend. In der sitzenden Position ist alles verhaltener. Gerne hätte ich mehr Feedback an den Künstler gegeben. Vielleicht ist aber auch ein sitzendes Publikum der Grund gewesen, dass Frevert mehr aus sich herausgekommen ist. Wer weiß?
Es gibt übrigens kein bild. weil man das angesichts der sitzenden Position nicht gemacht hat. Schickte sich einfach nicht.
Würde es das System zulassen, würde ich übrigens nicht mit 5/5 bewerten, sondern mit 6/5 …
Nils, 17.05.2012