In der Bahn stellte ich fest, dass mich mein Termin genau in Richtung Neonazi-Demo führte. Bereits in der Bahn sah ich viele junge Leute, die heiter und aufgekratzt waren, keine Spur von Aggression – das muss auch gesagt werden. An der Haltestelle Wartenau stiegen sie dann mit mir zusammen aus. Die Wandsbeker Chaussee war etw. in Höhe Richardstraße gesperrt. Am Anfang der Straße Blumenau stand ebenfalls ein Peterwagen und ließ kein Auto in die Straße einbiegen.
Mein Termin fand Abseits der „Action“ statt. Zunächst schaute ich verstohlen auf Twitter nach Nachrichten über die Demo und die Gegendemos. Die ersten Fotos mit brennenden Mülltonnen liefen auf, schwarze Wolken über Wandsbek. Nachrichten über Angriffe auf Polizisten wurden gepostet, Kessel-Situationen, Übergriffe auf Demonstranten. Mittlerweile verfolgte ich die Geschehnisse nicht mehr heimlich unter dem Tisch. Die Frage kam auf: Wieso muss das immerzu aus dem Ruder laufen?
Auf dem Hamburger Rathaus hatten sich laut Angaben 10.000 Menschen zur friedlichen Kundgebung gegen engstirnigen „Anti-Multikultiwahn“ zusammengefunden, Erster Bürgermeister Scholz hielt eine Rede. In Wandsbek wurden die braunen Horden durch Sitzblockaden daran gehindert, ihren Marsch durchzuführen. Schöne Aktion. Erste Frage: Wieso muss gegen die Sitzdemonstranten mit Gewalt vorgegangen werden? Man las von Pfefferpray, Schlagstockeinsatz und später Wasserwerfern. Wieso diese Verteidigung der Braunen? Das ist eine Frage, die sich bestimmt viele Hamburger gestellt haben.
Die Eskalation an diesem ersten Sonnabend im Juni begann aber bereits früher. Nächste Frage: Wieso müssen irgendwelche Idioten in der Nacht zum Sonnabend Wagen anzünden? Es sollen elf Polizeiwagen angezündet worden sein, die vor einem Hotel standen, in dem Einsatzkräfte aus Nordrhein-Westfalen untergebracht waren. Was soll das? Das kann doch nur Spaß an der Zerstörung sein, verbunden mit einem Hass auf die Polizei. Das ist keine Aktion, die „in der Hitze des Gefechts“ während der Demo passiert ist.
Wenn man mit Sitzblockaden die braunen Kundgeber vom Marsch abhalten kann, wieso mussten dann in Hamburger Straßen Mülltonnen und andere Gegenstände in Brand gesetzt werden? Aus welchem Grund müssen Steine und Böller auf Polizeibeamte geworfen werden? Es hieß in der Presse, dass mindestens acht Polizisten verletzt wurden, später war die Rede von 19 Beamten. Wieder die Frage: Was soll das? Man kann sich doch denken: Gewalt ruft Gegengewalt hervor.
Beobachter und Presse sprach davon, diese Handlungen seien dem linken Lager zuzuordnen. Vermutlich, weil man davon ausgeht, die Rechten würden nicht ihren eigenen Weg mit brennenden Gegenständen blockieren. Wobei …
Wie die Mai-Kundgebungen in der Schanze
Diese gesamte Brandlegerei ist etwas, das wir auch von den Mai-Kundgebungen kennen. Das Spiel ist mittlerweile ein paar Jahre alt. Es gibt Krawalle, Steine- und Böllerwerferei, Barrikaden werden errichtet und angezündet, die Polizei wartet an jeder Ecke nur darauf, dass sie losschlagen kann. Und schon hat man die Straßenkämpfe.
Waren solche Aktionen früher noch meiner Meinung nach tatsächlich politisch motiviert, sind es doch jetzt eher, so flüstert man hinter vorgehaltener Hand, streitbereite Jugendliche von außerhalb, die extra anreisen um ? Krawall zu machen. Pure Lust am Aufstand gegen Ordnung, Lust am Zerstören, an der körperlichen Auseinandersetzung mit Anderen. Politik, eine Aussage, sucht man da vergebens.
Ebenso muss man die Angriffe bei den Gegendemonstrationen sehen. Eine Großzahl versucht friedlich einen Gegenpol zu dummdämlichen Parolen zu bieten – und eine kleinere Gruppe (oder doch 1000 bis 15000 Gewaltbereite
?) nutzt diese Situation, die Präsenz von Polizei, dazu, um die friedlichen Aktionen zu stören und zu zerstören.
Da gibt es also eine Gruppe, wie groß sie nun auch sein mag, die immer wieder die Möglichkeit findet, Gewalt auszuüben. Damit schaden sie jedoch stets einem Lager. Die Presse ist sich selbstredend sicher: das sind Linksradikale. Sind sie das wirklich? Oder sind es nur Idioten, die Stunk um des Stunkes Willen machen? Da man sie nicht rechts einordnen kann – wie an diesem Sonnabend – bleibt nichts anderes übrig, als zu sagen „Ja, dann waren es die vom anderen Lager.“
Dass die Stimmung aufgeheizt war, merkte man beim Verfolgen via Twitter. Kaum gab es Übergriffe auf Demonstranten, war das Geschrei groß. Die scheiß Polizei und so. Lese ich:
Gegendemonstranten, die den Weg blockierten, wurden von der Polizei weggetragen. Beamte wurden dabei teilweise mit Böllern und Flaschen beworfen.
? dann ist nicht ersichtlich, ob die Polizei beim Wegtragen gleich Gewalt angewendet hat oder nicht. Man liest jedoch, dass Beamte angegriffen wurden. Wer hat also den ersten Stein geworfen?
Weltuntergang in Wandsbek
Ein Wort noch zur Presse. Wenn ich lesen muss, dass Wandsbek verwüstet
wurde, wird mir übel. Ich denke einmal, brennende Barrikaden und Autos haben nicht dazu geführt, dass ein Stadtteil abgebrannt ist und nun in Schutt und Asche liegt. So liest sich das nämlich.
Übrigens auch schön, da regte sich ein Twitterer – mit Recht – darüber auf, dass der Spiegel davon schrieb, man könne vom Dach des Spiegel-Gebäudes (HafenCity) schwarze Rauchsäulen über Wandsbek sehen. Die Spiegel-Leute sollten mal nicht auf ihr Dach gehen, sondern lieber vor Ort sich erkundigen und ein Bild vom Geschehen machen. Stimmt, hätten sie wirklich gerne mal machen können. Immerhin sitzen die auch in Hamburg.