In einem Tweet fragte ein Bekannter von mir, ob das überhaupt ginge Tatort ohne Facebook
. Schnelle Antwort: Klar geht das! Man kann sogar ganz ohne Fratzenbuch auskommen.
Mein Entschluss stand gleich fest. Wenn ich schon so eine Äußerung von mir gebe, muss ich Worten auch Taten folgen lassen. Den gesamten November wollte ich „ohne“.
Der 1. November war da und bevor ich ins Büro fuhr, tat ich meinen Entschluss kund – natürlich dort, wo es richtig angebracht ist. Früh am Morgen schrieb ich, dass ich dann mal einen Monat raus bin. Danach loggte ich mich aus dem Fratzenbuch aus. Und es war ruhig.
Soziale Selbstversklavung
Ich bin kein Freund vom Fratzenbuch. Eigentlich habe ich den Account nur aus beruflichen Gründen, aber ein Kollege sah es, als ich den Account eingerichtet habe – schon hatte ich meine erste Kontaktanfrage.
Morgens und abends schaue ich auf dem Smart-Telefon in die entsprechende App, scrolle durch die Einträge und in der Regel beschränkt sich meine Aktivität innerhalb des Fratzenbuchs darauf, Kommentare abzugeben. Wahrscheinlich nerve ich auch den einen oder anderen Kontakt damit. 🙂 Selten, dass ich selber einen Beitrag starte. Wenn, dann poste ich meistens Musik-Videos (sofern man das überhaupt noch kann …)
Unterschiedliche Verhaltensmuster im Fratzenbuch
Vermutlich bin ich nicht der typische Fratzenbuch-Nutzer, so passiv wie ich mich verhalte und so selten wie ich mich dort aufhalte. Das Gegenteil ist weitaus häufiger zu beobachten. Eine Bekannte postet alles (!) aus ihrem Leben: wo sie sich gerade aufhält, mit wem, was sie isst, was sie trinkt, was sie gerade sieht, was sie für ihren Liebsten gekocht hat. Der ist eh ein großes Thema … Alles garniert mit Fotos, Fotos, Fotos. Das ist die einzige Bekannte, die ich bewusst geblockt habe. Meine Timeline bestand zu 80% aus ihrem sozialen Rauschen.
Dann gibt es die Leute, die am Arbeitsplatz immer (!) ein Browserfenster mit dem Fratzenbuch auf haben. Immer. Ständig haben sie die Plattform im Blick. Bloß nichts verpassen. Mal davon abgesehen, dass diese Menschen offensichtlich viel von ihrer Arbeitszeit dem Fratzenbuch schenken (Gibt es Zahlen, was das die Arbeitgeber kostet?). Ein Kollege meinte, darauf angesprochen, dass er doch sehr viel auf der Plattform umtriebig sei, er könne nicht mehr ohne. Er müsse immer wissen, was in seinem Freundeskreis los sei. – Na, das nenne ich mal ein 1A-Suchtverhalten. Dabei denke ich einmal, dass dieser Mann – bei dem das Fratzenbuch u.a. dazu dient Frauen anzuschauen, anzuschreiben und dann über andere verbal herzuziehen – kein Einzelfall sein dürfte.
Ich kenne somit zwei Haupttypen, die das Fratzenbuch nutzen: Die einen, die jede Minute ihres Lebens mit der ganzen Welt teilen, also Informationen ohne Ende geben. Dann noch die, die brav auf ihrem Stuhl hocken und den Blick nicht von der Plattform abwenden können. Das sind die, die Informationen „brauchen“. Beide scheinen ein aus meiner Sicht geradezu krankhaftes Verhältnis zu dieser Plattform zu haben. Sie haben sich freiwillig versklavt.
Einmal stand ich hinter einer jungen Frau im Bus. Früh morgens ging sie ihre gesamte Fratzenbuch-Kontaktliste durch und antwortete jedem, der ihr eine private Nachricht geschrieben hatte. Schön die Liste von oben nach unten abarbeiten; die gesamte Busfahrt über.
„Dann lösch‘ doch Deinen Account!“
Der 1. November war ein Dienstag. Nachdem ich angekündigt hatte, mal einen Monat auszusteigen, schaute ich nicht mehr rein. Auf dem Mobiltelfon habe ich die App gelöscht. Anders habe ich das Fratzenbuch eh nicht benutzt. Alle Jubeljahre zuhause, auf der Arbeit gar nicht. Als es um die neue Timeline ging – ging die Aufregung voll an mir vorbei. Auf meinem 960×640-Pixel-Bildschirm hätte ich die wohl kaum zu sehen bekommen.
Nur einmal zeigte mir ein Kollege in seinem Stream, was nur wenige Tage nach meinem Abgang unter dem Beitrag stand. Einige gratulierten trocken. Die Fraktion, die mich mehr oder weniger ausschimpfte war jedoch größer. Da gab es Aussagen, wonach ich eine Mimose sei, aber auch klare Ansagen, ich solle doch gleich meinen Account löschen. Ein Bekannter nahm das alles irgendwie sehr persönlich und griff mich später per Direct-Message auf Twitter an. Lag wohl u.a. daran, dass er mich übers Fratzenbuch zu einer Veranstaltung eingeladen hatte. Davon erfuhr ich jedoch nur über einen Umweg. Als ich mich bei ihm meldete, ging das Beschimpfen los. Dabei war das Netteste noch, ich sei rückständig.
Wobei wir wieder beim Thema Abhängigkeit sind. Der Bekannte organisiert sein Sozialleben wie Verabredungen nur noch über das Fratzenbuch. Dass es auch andere Kommunikationswege gibt – undenkbar. Oder einfach nicht mehr im Fokus. Dabei habe ich schon zu Fratzenbuch-Zeiten wichtige Termine verpasst, weil ich schlicht und ergreifend nicht ständig reingeschaut habe. Eine gute Freundin ist ausgewandert und ich habe die Abschiedsfeier nicht mitbekommen. Eine Mail hätte gereicht. Oder ein Anruf.
Alles muss über Zuckerberg laufen. Das will ja auch die Wirtschaft so. Mehr Infos gibt’s auf dem Fratzenbuch, wir sollten Freunde werden, Dinge „liken“. Keine hippe Plakatwand ohne den Daumen. Kommt! Kommt!
Mich nervt’s.
Ruhiges Leben
Zwar habe ich es nie so schlimm getrieben wie meine Kollegen, aber schon ich merkte schnell: es geht ohne und es viel ruhiger. Kein „Ach mal schnell gucken“. So hat man mehr Zeit für andere Dinge. Aber anscheinend wollen das einige Menschen gar nicht mehr.
Persönlich war ich enttäuscht, dass man für eine kritische Haltung dem Fratzenbuch gegenüber und einer Abstinenz offen angefeindet wird. Für Manchen wird man dadurch zum Unmenschen oder höchstens zum Cro-Magnon. Wo führt das hin?
Und nun?
Der Monat ist um. Ich habe das Fratzenbuch nicht wirklich vermisst, die App wurde nicht wieder aufs Telefon geladen und reingeschaut habe ich heute auch noch nicht. Wer weiß, was in der Zwischenzeit mit dem Account getrieben wurde? Man hört und liest ja immer schlimme Dinge von gehackten Konten.
Zum Glück bin ich nicht alleine mit meiner Haltung. Auch wenn Andere den konsequenteren Schritt gegangen sind und das Konto gleich ganz gelöscht haben.